ROBERT STOLZ UND MARBURG

Robert Stolz wurde im Jahre 1880 geboren und ist – fünfundneunzigjährig – 1975 gestorben. Im Jahre 2010 hat unser Verein folglich die 130-Jahr-Feier seiner Geburt mit einem Gedenkkonzert beehrt. Für uns war allerdings in diesem Jahr auch eine andere Jahreszahl wichtig, es sind rund 110 Jahre vergangen, seit er das Marburger Theaterorchester geleitet hat. Mit etwa 60 Operetten, 100 Filmmusikkompositionen und über 2000 Liedern gehört er zu den fruchtbarsten und zweifellos auch zu den populärsten Komponisten der Welt. Viel zu wenig Bedeutung messen wir der Tatsache bei, dass sein künstlerischer Weg gerade in Marburg begonnen hat.

Aber jemand war sich doch sehr wohl der Tatsache bewusst, dass Stolz auch für uns eine Größe ist und dass es dumm ist, ihn totzuschweigen, nur weil er ein Deutscher im deutschen Marburger Theater gewesen ist. Im Jahre 1967 besuchte Josip Broz Tito zum ersten Mal offiziell Wien und ihm zu Ehren fand in der Staatsoper eine Gala-Vorstellung der Fledermaus statt, dirigiert von Robert Stolz. Beim Empfang in Schönbrunn nach der Vorstellung wurde Robert Stolz dem Präsidenten des Nachbarlandes, einem Kommunisten und Partisanen vom wilden Balkan vorgestellt und Tito hat den Künstler und alle Anwesenden überrascht – er begrüßte ihn als »Walzerkönig aus Marburg«. Er kannte alle seine Werke, erinnerte sich sogar an die Texte vieler seiner Lieder, der er gerne am Klavier spiele und singe. Der geradezu verzauberte Stolz beschrieb das alles an sichtbarer Stelle in seiner Autobiographie und erinnerte gern und oft daran, dass ihm Tito den Orden der jugoslawischen Fahne an der goldenen Kette für sein musikalisches Werk verliehen hat. Leider sind noch heute viele Politiker außerstande, eine solche Weitherzigkeit an den Tag zu legen. Stolz entschuldigte sich beim Marschall, der die deutsche Sprache gut beherrschte, das er sich selber von allen slowenischen Wörtern nur zwei gemerkt habe: "štrudel" und "dunajski zrezek".

Robert Stolz entstammte einer berühmten Musikerfamilie, in der Brahms, Bruckner und Verdi ein- und ausgingen. Seine musikalische Schulung fand Stolz bei Robert Fuchs und Engelbert Humperdinck in Wien statt. Sein künstlerischer Weg war so lang und so dicht von Ausnahmeleistungen gepragt, dass ich ihn hier unmöglich wiedergeben kann, deshalb möchte ich mich auf die eine oder andere zu wenig bekannte Einzelheit aus seiner Marburger Zeit beschränken.

Als Dirigent kam er nach Marburg im Jahre 1899 mit 19 Jahren, als er schon eine Klavierkarriere als Wunderkind hinter sich hatte. Als erste Vorstellung wählte er den Zigeunerbaron zu Ehren des Familienfreundes Johann Strauss. Damals wusste er noch nicht, dass es im Marburger Orchester sechs schnauzbärtige Roma gab, die keine Note kannten, doch geniale Violinisten waren. Nach zwei Proben konnten sie alles aus dem Kopf spielen. Die wertvollste Anerkennung, die er nach der erfolgreichen Premiere erhielt, war ein riesiger Kranz von Leberwürsten.

Für den weltgewandten Künstler, der in Wien gelebt hatte, kann Marburg nicht gerade anregend gewesen sein. Ganz automatisch kam ihm ein anderer Text für den berühmten Donauwalzer in den Sinn: Marburg an der Drau, so grau, so grau… Ein wenig Wiener Charme reichte zwar auch bis Marburg, nur »aus zweiter Hand« mit einigen Jahren Verspätung, wie er selbst geschrieben hat.

Mitten in der Spielzeit hat der "Walzerkönig von Marburg", wie er von seinem Bewunderer Tito genannt wurde, in Wien den »König der Könige" Johann Strauss besucht, um sich mit seinem ersten Erfolg zu rühmen. Der Maestro war über die Verhältnisse in Marburg, dass er offensichtlich gut kannte, belustigt. Nachdem er sich Bruchstücke einiger in Marburg entstandener Kompositionen von Stolz angehört hatte, riet er diesem, er solle seiner Neigung zur leichten Musik folgen, weil er »etwas eigenes« habe. Bei der Rückfahrt nach Marburg begann Stolz schon an seiner ersten Operette »Studentenulke« zu arbeiten.

Stolz selber betrachtete seinen Anfang in Marburg nicht als besonders gut, aber es war immerhin ein Anfang. Er war ziemlich einsam, es trug ihn kein begeistertes Musikpublikum, er wurde nicht mit Blumen überschüttet, er vermisste die zu Tränen gerührten Frauen, wie er sie aus Wien kannte. Aber er spürte das Ticken der »Höllenmaschine«, wie er sich ausdrückte, in der Stadt machte sich nämlich eine von Tag zu Tag eine zunehmende Spannung und fast schon Feindschaft zwischen den beiden Völkern bemerkbar, was er der verfehlten Staatspolitik zuschrieb. Im ersten Jahr des neuen Jahrhunderts wusste er bereits, dass »es nichts mehr zu retten gibt, auch wenn man sich Tag und Nacht bemühen würde.«

Offensichtlich überglücklich gesellte er sich zu Max Reinhardt und Hugo von Hofmannsthal, als sie die Salzburger Festspiele auf die Beine stellten. Dort hatte er über Nacht Erfolg mit seiner zweiten Operette »Schön Lorchen«, deren Ansätze möglicherweise noch in die Marburger Zeit zurückreichen. »Über Nacht« wurde er von der schwarzhaarigen ungarischen Sängerin Aranka erobert und weil Stolz von sehr fröhlichem Naturell war, möchte ich hier noch eine Anekdote einschieben. Aranka trug immer ein kleines Kristallfläschchen mit sich und erzählte immer, das sichere ihr seine ewige Treue. Von sich selbst eingenommen, war er überzeugt, dass Wasser aus Lourdes oder sonst irgendwas »Heiliges« darin sei, bis sie ihn aufklärte, er sei Vitriol darin, das sie ihm in die Augen spritzen würde, wenn er zuviel nach anderen Frauen schauen würde. Sehr erschreckt hat sie ihn damit nicht, denn in seinem Leben hat er nicht weniger als fünfmal geheiratet.

Abschließend möchte ich mir die Feststellung erlauben, dass Marburg sehr leichtsinnig oder sogar liederlich wäre, wenn es Robert Stolz aus seiner Kulturgeschichte auslöschen würde. Dasselbe gilt für Lannoy, Hugo Wolf, Amalia Schneeweiss und andere weltbekannte Künstler, deren »Sünde« die deutsche Muttersprache gewesen ist. Wir leben in Mitteleuropa, wo die Kulturen durcheinandergemischt sind und von den Menschen Toleranz und Breite erwartet wird. Es sind Brücken notwendig und eine unter ihnen bildet unser Kulturverein, der sich bemüht, Marburg als Berührungspunkt von Kulturen zu präsentieren. Ist denn nicht gerade das auch eine der führenden Ideen der europäischen Kulturhauptstadt? Und auch deshalb ist Robert Stolz unter uns immer sehr willkommen.

 

Franci Pivec

 

 

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